mon dieu es geistert

Droschl Verlag 2007

am morgen bin ich tot, abends erwache ich zum leben.
dann renne ich in die nacht, werfe mit staub um mich, hebe gras aus der erde, schneide mir die haare und rolle mit einem runden käse die hügel herunter. am morgen findet mich mein sohn, führt mich auf einer rolltruhe heim und deckt mich zu. die frau wischt mich rein. während sie mit dem knabe isst, sinnt sie darüber was sie mir auf den mund legen könnte. einmal schlucke ich die nahrung, ein andermal puste ich sie weg. keine bewegung, kein laut trübt dieses reine wigwam.  
ich habe es aus nichts geschaffen, deshalb kann ihm auch nichts etwas anhaben. wir tragen tag und nacht abendkleider lang bis über die knöchel. unsere knochen pflegen wir mit stroh, die augen mit pflaumensaft. was die drei herzen angeht, so ist der zutritt nur den inhabern gestattet.
6. 9. 06
mon dieu es geistert S. 10

erschrick nicht, ich bin dein herz und komme zu besuch. daß du noch lebst freut mich.
wir sassen neulich zu mehreren beim scheiterhaufen und dachten an euch. nachdem wir uns im ganges gereinigt hatten, zog es uns eigentlich in die nördlichen berge, doch schoben wir es auf später und kamen her um uns gewissheit zu verschaffen.
nun finden wir dich und die andern galgengesichter so friedlich. wie freut uns das. so können wir wieder zusammenziehn, brust an brust. frage deine freunde ob und wie wir uns vereinigen sollen. ich frug sie. sie wiesen mir ihre alten gesichter mit dem steinernen loch. keine antwort. 
mon dieu es geistert S. 50 

bis du bei mir bist kämme ich meine langen haare. sobald du mir gegenüber sitzt binden wir sie so zusammen, daß jeder ruck den knoten ein wenig fester zieht. das lehrmädchen sprach leiser und leiser zu sich, zuletzt setzt sich das zittern ihrer kleiner werdenden stimme im kamme fort, dringt über die haarwellen und wurzeln ins blut.

der lehrknabe war noch weit weg, da meinte er eine leise stimme zu hören - oder warens die salzigen härchen in der ohrmuschel die der wind zum klirren brachte. es klang als ob ein satz feinen geschirrs zerbrach. grund genug seine langen beine anzutreiben. die leere welt lag schon hinter ihm zu großen schachteln aufgestapelt, vor ihm ein gerades dünnes brett über dem letzten abgründlein sich biegt. drei bienen nehmen den müden jündling in ihre mitte und führen ihn sicher hinüber bis vor die verschlossene höhle. auf ein klingeln öffnet das liebe lehrmädchen, küßt ihn und führt ihn zu dem herr, der seine wirklich langen haare in einem bunten sacktuch vor der falschen welt verbirgt.  
mon dieu es geistert  S. 28 

letzte nacht war hell, die faust geöffnet schlief ich ein mit schlaffen beinen. entgegen von der schafheide tritt mir der mann mit dem leeren papier. von freude bekannt die wir zusammen vor leeren tischen empfunden winke ich erregt. er legt die zeile in ein buch ohne lesezeichen, ohne schrift. das heft zerfällt in stücke wie wir uns umarmen. wir geben uns wieder neue namen wie jedesmal wenn von uns semantisches erwartet wird und etwas drittes, konkretes. befangen fordern wir voreinander zunächst diskretion.

mit stöcken wird die erste runde ausgetragen. dann tasten unsere augen die sonne von beiden seiten ab und nehmen jeder sein goldenes blatt in den mund. da stehen sich denn zwei aftersonnen gegenüber, in aussehen nur wenig unterschieden von gewöhnlichen personen. ihre beiden münder schaffen nun die genauen zuckrigen dinge für das große allfällige im regen stehn.   
mon dieu es geistert  S. 13

"Ein Mensch, der dieses Buch in die Hand nimmt, den Titel liest, es aufschlägt und es nicht haben will, der hat ein dummes Herz und keinen Verstand. Ich kanns nicht anders sagen als eben so."
Monika Rinck, Autorin, in: Literaturport, Leselampe, 2008,

zwei zelte vor dem meer. ich sehe nach, niemand im zelt. eine schürze links an der trockenleine, ein zerlesenes buch beim eingang, rechts die bratpfanne mit alchemischer kruste.
mit dem ersten frühlingslaub bedecke ich meinen leib und warte. so beobachtete auch mein vater mutter bei der geburt.
indes ich unter mummenschantz liege, klappern zwei störche gebückt in der brandung. ihre hellen frühlingsschürzen bauschen sich über den vielen aufgesammelten muscheln. mich können sie nicht sehen; mit um und um geflochtenen gerten gleiche ich der korbflasche neben der pfanne.
sie werden einen muschelweg vom wasser zu den zelten anlegen um dem weiland kind, das da kommen wird en boden zu bereiten. sollte es der geoffenbarte knabe sien, wird er die zelte abbrechen, geschirr und wäsche auf den rücken laden und mit evangelischer bestimmtheit die braut für seine theologie suchen und finden; barfuß auf ledigem perlmutt
mon dieu es geistert  S. 17

Textauszüge aus: Dominik Steiger, mon dieu es geistert, Literaturverlag Droschl, Graz/Wien, 2007, http://www.droschl.com/autor/dominik-steiger/

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