Rückwärts zum Leben Anfang

Hoch über Marseille, das die Sonne beschfüllt das Bassin im Segeljachthafen, dort oben an die breite Mauerbrüstung, reckt ein dünner großer Schreck, der neueste Legionsaspirant an die hohe Felsbrüstung über dem Meere in Aussicht.

Vorübereilendes Bootklein, Mädchen winkt zu grüßen die kleine Figur am Mauerstumpfe, der das alte Fort Saint Nicolas, dem die Legion ihr Quartier beinhält, zu leichtfertiger Grußgeste, die schwanken der Gefühle bewegte Aspirant beratlost.

Schweißt der Abend neues Hochwärtshaus mit Apartments in rückwärts mit Licht bezimmert, erschillt abendlich vor der Schlafsaal die Vorstellung von draussen, die abgesperrtheit in der Kaserne, die nicht mehr verlassen werden darf.

Das eigene Geheime Legionspolizei Prüfung, Verhöre, Pausen, nochmal Verhöre, warum der Schreck herabgekommen, um in Afrika einzutreten; Manchen jungen Trotzfleck wirft der Schädel an Mauer um zu antwort hervorzubrechen der Polizist. Sieht José andre in ecken stehn ud warten auf ruf, daß zur Anwort oder Ohrfeigen weiter die Zeit schreitet in den alten Kasernengebäude, wo die Wartezeit drei Wochen dauern wird, bis eine Gruppe von 100 zirka in ein Schiff unterdeck, auch oberdecks zur Mitelmeer  hinaus wirft und die Vergessenheit hinter alten speien Europa vor sich unsichtbar mit herschleppt; dem aber gewahrt das jugendliche Herz jetzt noch nicht, sondern schreibt mitten hinaus in die ungelesene Ferne, die von Afrika in ihn hineingerufen hat.

Dazu verlassen war auch der Ruf an die alte Wiener staubige Universität gedrungen, in den mulligen Stuhl, wo die russische Spracherlernung sollte ihn zu der russichen Handelsgruppe fähig heranbilden. Doch diesem Intermezzo und Vorstellung bestach den Aspiranten auf das neue frische Leben nicht.

Die Zurückgedrehtheit in den Studenten, die den Eltern und den Weltschaffern an die Jugend herangedrechselt wird, geschieht manchem zum Malöre, doch andermancher reißt sein Schrecksein von sich, greift in die Lade von wem und flüchtet nach dort. So war es in dem José vorpassiert.

18 Jahre standen ihm auf sein zartes Gesicht und die Haare waren noch schwach an den Hauptstellen oder gar nicht ausgesprossen an machen Nebenstellen, was den Jüngling auch hoffen und wünschen ließ, durch Wegreißung des langsam stockenden in Wien sich an die Händler und Familienwelt Ausliefer und Ausleer, Auflernungs- und Verstrickungsprozess, zu beschleunigen die körperliche Kraftzeichnung und Mannbarkeit in den Erkennungszeichen zu fördern.

In Marseille auf dem Fort erstieg die Morgensonne den Eckturm, in das Ärzteuntersuchungsraum, wo von den nackten Burschen die Kraft, Geschmeidigkeit und Tauglichkeit abgefordert wurde, um in Bücher eingetragen nach Afrika den Verwaltern mitgeschickt, zum Nutzen und Wissen und zur rechten Bedachtnahme auf die Fähigkeiten der Jünglinge die Anleitung zu geben.

An den Holzbänken fror die Wunschängstlichkeit, manches Vorauseilen wandte sich ängstlich in die Rückschreiterichtung, wenn aus dem Fort als untauglich wieder hinausgeschickt die alte Spur zu betreten gewesen wäre. Wem und wie das Zurückgehen? Schauderhaft!

Den Eltern, die nicht verständigt im Suchefieber, die traurige Fortsetzung durch nur ein Zurückkommen in Beschämtheit, das schien José nicht möglich, nach der stummen Entfernung und Bestehlung und herzlosen Nichtmeldung; nach in Ungewissheit verbrachten Wochen - es war dies die vierte schmerzlich selbstkriminelle Entfernung aus der Familienmacht - umso beschämender die Zurückführung, die dem Neuleber drohte, sollte Arzt das nicht finden, was ihm unabdingbar für den Streitberuf in der französischen Fremdenherrschar zu verlangen obstand.

Den Gesprächen der Anwärter miteinander schlug auf die untereigene Befürchtung, von der das blaue Mittel, das Meer nicht ins Arztzimmer-Fenster aus der Tiefe herauf Ablenkung besorgte, nur noch dringendere Wunsch, sich in dieses, den Wartenden und Afrika Verbindende zu einschmeicheln.

Wieder gärten die Jungen, der stolze hochgespannte Italiener aus Oberitalien, mit blauen Zären und blonden Flocken, der das blaue Kunststoffmäntelchen, das diese Jahre, 1958, durch die Welt roberte, über flotten Bein und Oberkleidern hertrug um es in die Magazine später abzugeben und vielleicht nicht mehr wiederzusehen.

Dann sind die Spanier mit Flickenschürzen und Kitteln, die um schon jetzt Zigaretten kommen, die so ärmlich und verbündet untereinander, die großzügigkeit immer belohnt, freundrechtlich liebenswürdige Unvertänder.

Deutsch Sympaas, den die Ordnung in den Schlafsaal einbricht, an den Betten ist sie auf Decken geschlichtet, das die anderen später erst lernen müssen, ist ihr Erbteil in sicherheit und sie zählen zu der bald sich bildenden Korporalschar. Jetzt sind Schuluniformen mit Schiffchenmützen ausgeteilt, mit roten Obenschlitzen und grünen Seitenwänden, den Deutschen, die durch die nackten alten Gänge laufen, zum Arzt, zum deuxieme bureau (dort sind die Befragungen) zur Kantine, wo die Biere noch von hereingebrachtem Gelde erworben, Gassen bilden, durch die der Weg nach Afrika steigt, sind die Deutschen ohne Waffen nackt.

"Warum sind, bist Sie du zur Legion gekommen?"

Diese von der Universität mich genommen habe ich, das war ich in der Schule auch vorher und in dem Elternhaus, und die mein Vater nicht so lebt, und das was meine Mutter noch mir wünscht, des bin ich überdrüssig; das schale Lernen zur Heranbefehlung von Diensten, in die mich presst ein noch nicht kennegelernter aber schon gehasster Rat, die vielen Räre, die mich schon bestimmt, das Religions- und Unterrichtsmeistern, dem ich schon oft zu entrinnen versucht, das heimliche Gewaltausüben gegen meinen Willen zum Handwerk oder zur Muße, die Freiheitsberaubung die unter den Mädchen stattfindet und der man nicht weiß, wesher sie stammt, damit jedenfalls die Verhinderung von dringenden Wünschen und die eigene eingeprägte Hilflosigkeit und Verdammung, der augesetzt nur in Parks und langen Fluchtwegen, Durch-die Stadtlaufen und Verweilen, durch Umgehen der dirketen Linien was wissen, das gemiedene weil fürchten gelernte Lesen und Schreibenmüssen, das in der Schule dem Lehrer diente zur Messung von schlechten Noten, die sich auf ebendasselbe aufgegründet haben, die andererseits verschwiegene Verrufenheit von Eigenentschlüssen, von der gelesen und gehört, sie führt manchen freiweg aus Zwang und Beherrschtheit in die freiwillige Eintritt zur Selbstgestaltung in blauer, grüner oder roter oder gelber Uniform und das Wissen, daß es nur des Entschlußs zur Brechung Zerbrechung von den wenigen Vorschriften bedarf, die die Schritte einem lenken. Zur Erreichung von dort, nimmt das unternehmende Wesen die Kraft im Entschluß, alles andre folgt auf dem Fuß.

Dies genügte einstweilen. Das schale Luft träufelte zu der Erklärung die Beruhigung in den Ohrschluß dem Beamten, den das alte Leiden nicht mehr von der Marseilleburg fortließ und dem sein Vergnügen die Stadt und der Kai mit Familie, Sockenstrauch und Bierverwaschung unter dem Magen in die alte Europa als ausbewegtes Legionsrat hinterher zurückerworben hat. So geht ein Deutsch auch im Lebensnu verloren und wiegt so leicht.

Horch die Fahne in dem Fort, über sie radelt nicht ein Trupp Wolken in die Berge an, hinauf nach Italien, wo die Touren Welteruhm haben und den Jungen ersten Radlerfernblick in die Augen sprechen? Sie radeln jetzt über der Fahne, die von einem andern Morgen weht, in dem die Tourenräder auch wieder zum Einsatz kommen, aber unter Lasten von Bürolisten in Bel Abbès.

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Zerregnete Gegengezogenheit durch die Städte und ihre Kinos, das Leben in den Kasematten der Familie schritt an zerrleinen, die Söhne von der Mutter an Bändeln als Hundsgruppe durch den Stadtteil, in dem die Wohlangesehenheit durch den Vater die Bestrebung der Mutter zur Zufriedenheit aller auf zufallen und die Brütlinge in die Klein-Klassen von allem aufzuführen, ihre treuherzige auf den Vatermann und Deutschstolzen Vater bezogene Freiheitlichkeit in Herzeigung ihrer Inneren und der Familieninnerlichkeit und Hintersinnlichkeit, die drückte sich in einer unverschämt offenherzig freigestalteten Gutmutsdespotie gegen Mitzi, die Ammenattrappe und in frei herrschender Überlegenheitspostur über die Parteien im Hause, dem Zinshause aus dem großmütterlichen Wien und seiner auch hier Erbschaft, in deutschem Sinne, in Hausaufgaben, Erziehung zur Rechtlichkeit und evengelischer Kunstliedfreude am Sonntag aus.

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Textauszug aus der Erzählung Flucht in die Legion, erstveröffentlicht in: Dominik Steiger, Mein fortdeutsch-heimdeutscher Radau (Tragelaph’s I. Part). 54. Karton, 5. Buch, Edition Hundertmark, Berlin 1978, S. 16–18,